Wendlingen 2018

Figur in Bewegung – Albrecht Weckmann & Jochen Warth

Galerie der Stadt Wendlingen, 9.9.2018

Ausschnitte aus der Eröffnungsrede

„Figur in Bewegung“ ist diese Gemeinschaftsausstellung hier in der Galerie der Stadt Wendlingen betitelt. Gezeigt werden Zeichnungen und Grafiken von Albrecht Weckmann und Arbeiten des Bildhauers Jochen Warth.

„Figur in Bewegung“ ist auch Titel einer Arbeit von Albrecht Weckmann (EG Nr. 40 – 44). Ein zentrales Thema seiner Arbeiten ist die menschliche Figur. Die Stahlplastiken Jochen Warths greifen das Thema „Figur“ dagegen prinzipiell abstrakt auf, lassen aber zuweilen auch Assoziationen zur menschlichen Figur zu – beispielsweise hier im EG als Gruppe von drei aufragenden leicht gekrümmten Stelen.

Die Künstler unterscheiden sich deutlich nicht nur im Medium. Sie begegnen sich jedoch in der Auseinandersetzung mit dem Raum – der eine im Zweidimensionalen, der andere im Dreidimensionalen.

Albrecht Weckmanns Arbeiten erinnerten mich auf Anhieb an Bildhauerzeichnungen. Die mit lockerer Hand gesetzten Linien, beschreiben virtuos Körper in unterschiedlichen Haltungen. Im Unterschied zu anderen Zeichnungen oder Skizzen bringt die Bildhauerzeichnung mehr die Raum-Körper-Beziehungen zum Ausdruck, durch betont lineare Darstellung und fehlende Hintergrund-bearbeitung. Albrecht Weckmann geht sogar noch einen Schritt weiter, indem er nicht nur einen Körper in einer bestimmten Haltung zeigt, sondern mehrere. Es wird Ihnen als Betrachter bestimmt gleich aufgefallen sein, dass in jedem Blatt mehrere Arbeitsschritte und meist mehrere Techniken stecken. In einer Art Simultanbild werden mehrere Körper zueinander in Beziehung gesetzt und dadurch der Eindruck von Bewegung und Räumlichkeit verstärkt. Auch der Faktor Zeit spielt durch diese Art der Darstellung eine Rolle: das Bild ist nicht auf einen einzelnen Moment fixiert, der Künstler wird so auch zum Erzähler. Seine Erzählungen kreisen um den menschlichen Körper, meist den weiblichen, ohne dass dies besonders betont wäre. In manchen Arbeiten wird der erzählerische Moment konkret, wie beispielsweise im „Urteil des Paris“ (EG Nr. 6 – 8) oder in der an Goya angelehnten Arbeit „Der Schlaf der Vernunft … “ (EG Nr 1 – 5), in der nicht wie bei Goya Vögel, sondern Menschen für das Ungeheuerliche herhalten müssen.

Manche Arbeiten des Künstlers sind im Umkreis von Tanz und Ballett entstanden, und wie bei Degas, den Weckmann ausdrücklich als Referenzpunkt für sich sieht, sind es die entspannten Haltungen der Tänzer in den Pausen, die den Künstler interessieren, und weniger die künstlichen Posen. Sein Interesse am Thema Tanz zeigt wiederum das Interesse am Erkunden und Darstellen des Raumes. Wie der Tänzer mit seinen Bewegungen Raum durchmisst und regelrecht einteilt, so erkunden und definieren Weckmanns Figuren den Bildraum. Der Mensch als Maß, ganz im Sinne der Renaissance, spielt dabei die Hauptrolle, auch auf einer inhaltlichen Ebene. Die Ausdrucks-möglichkeiten des Körpers im Tanz, bringt Weckmann so zeichnerisch auf Papier.

Dabei sind seine technischen Möglichkeiten breit aufgestellt. In der Werkliste zu dieser Ausstellung finden Sie die Bezeichnungen Tusche, Kreide, Holzschnitt, Druck, und immer wieder ‚Monotypie‘.

Mancher fragt sich vielleicht, was eine Monotypie ist. Die Monotypie ist eine zwischen Zeichnung und Druck oszillierende Technik, bei der die Druckplatte direkt bemalt wird. Nach dem Abdruck sind nur ein bis zwei blassere Abzüge möglich. Dieses Verfahren fordert Künstler zur raschen Umsetzung ihrer Bilder auf und übersetzt die künstlerische Handschrift direkt ins gedruckte Bild. Somit stellt die Monotypie letztlich nur Unikate her (mono = eins). Der dazwischen geschaltete mechanische Vorgang bringt nicht nur die Zeichnung hervor, sondern je nachdem auch bewusst oder unbewusst wolkige Farbflächen, außerdem ermöglicht der Vorgang auch experimentelle Vorgehensweisen, bei denen beispielsweise in die Farbfläche hinein gezeichnet wird.

Albrecht Weckmann schafft sich so eine Grundlage, auf die er reagieren kann. Wie im Zwiegespräch mit sich selbst kann er zeichnerisch die Arbeit weiter führen – ob nochmals in einem Druckverfahren, mit Tusche, mit Kreide etc. Hier wird eine ungeheure Lust am Probieren, Experimentieren und spielerischen Ausloten von formalen Möglichkeiten, spürbar – und ungeheurer Mut! Denn in jeder weiteren Schicht steckt auch die Möglichkeit des Scheiterns.

Besonders beeindruckt hat mich dieser Mut bei Arbeiten, die im UG zu sehen sind. Wie auf Schriftrollen setzt Albrecht Weckmann kleine Tuschezeichnungen wie Zeichen nebeneinander. Dass diese an asiatische Schriftzeichen erinnern, liegt nahe. Und wie diese Schriftzeichen aus Bildern hervorgegangen sind, so werden Weckmanns Bilder zu Zeichen, die immer wieder ins Figürliche changieren, und somit wieder zu Bildern werden. Assoziationen bieten sich unwillkürlich an.

Mut braucht der Künstler bereits für das Setzen dieser vielen Zeichnungen, denn: am Ende muss jede einzelne für sich stimmen, aber auch in der Gesamtheit passen. Ein erfindungsreicher, diffiziler Prozess, auf den noch ein Druckvorgang folgt – dafür ist Mut erforderlich, der Grenzen auslotet.

Ein weiterer Aspekt von Weckmanns Arbeiten ist die Auseinandersetzung mit Musik. Als „Notenblätter“ bezeichnet er seine im OG zu sehenden Arbeiten, bei denen er sich meist konkret auf ein Musikstück bezieht. Besonders die Minimalmusic beispielsweise von John Adams, oder die Stücke der schwedischen Jazzband „Esbjörn Svensson Trio“, kurz: „E.S.T.“, beschäftigen ihn. Wie Noten selbst abstrakte semantische Zeichen sind (also Zeichen mit einer zugeordneten Bedeutung), und Musik eine abstrakte Ausdrucksform darstellt, so sind auch diese Arbeiten abstrakt, beschäftigen sich im formalen Spiel mit Rhythmus, Variation und Entwicklung. Aber auch in diesem Bereich kommt das Erzählerische vor: Der Komponist und Pianist Esbjörn Svensson ist 2008 beim Tauchen tödlich verunglückt. In der Arbeit „Tears for Esbjörn, im Meer“ (OG, Nr. 56) spielt dieser Hintergrund eine Rolle – jeder mag sich seine Gedanken über die große blaue Fläche im Bild selbst machen und das Bild mit dem Gegenstück in Neapelgelb vergleichen.

Albrecht Weckmann ist kein Künstler, den man einfach in eine Schublade packen könnte. Sein breit gefächertes Interesse, die vielen Möglichkeiten in Technik und Ausdruck zeigen vor allem seine Vielseitigkeit. Sein spielerischer, gestischer Ansatz, bei dem der Schaffensprozess selbst eine große Rolle spielt, erfordert Mut – bis an die Grenzen.

Birgit Wiesenhütter

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