Ausstellung im Kunstverein Korntal, mit Claudia Bohnenstengel, Albrecht Weckmann und Bertl Zagst
Auszüge der Vernissagerede, 13.10. 2013
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Ebenfalls Rot leuchtet uns hier der Lichtkasten neben den abgedunkelten Fenstern entgegen. „1911-2011, Fluchten“ nennt ihn Albrecht Weckmann. Und dieses Datum ist zum einen ein zutiefst persönliches, es hat mit seiner Familie, genauer mit den Lebensdaten seiner Mutter zu tun. Zum anderen aber steht der Titel für ein ganzes Jahrhundert, für 100 Jahre Flucht und Vertreibung. Und im Grunde versinnbildlicht es auch das Jetzt: So mancher hat auch heute noch keine warme Suppe, wie Flüchtlingsdramen, wie jene vor der italienischen Insel Lampedusa aufzeigen. Immer noch versuchen Menschen aus Afrika in die Festung Europa zu kommen, um der Armut oder Verfolgung zu entfliehen.
Auch in Albrecht Weckmanns Familie hat man nach dem Zweiten Weltkrieg hautnah Vertreibung erlebt, die Folgen eines geteilten Deutschlands, ‚zigfache Umzüge. Es gab kaum Zeit, Wurzeln zu schlagen – so wie es vielen Menschen in dieser Zeit erging. Mit Tusche, großer Geste, aber auch minutiöser Detailfreude macht sich Weckmann nicht nur auf die Spur seiner eigenen Geschichte, sondern bewegt sich dynamisch, zwischen Abstrahierung und detaillierter Gegenständlichkeit durch das 20. Jahrhundert, zitiert aus der Kunstgeschichte, aus Medienberichten kollektive Erinnerungen, die wie Ikonen für eine bestimmte Zeit, für das Erlebte und Erlittene stehen. Sie zeigen den entscheidenden Moment, „the decisive moment“, wie es der Fotograf Henri Cartier-Bresson nannte.
Da ist der berühmte Soldat, der beim Mauerbau 1961 über den Stacheldraht springt, dort Beuys berühmte documenta-Schlitten. Die Bilder überlagern sich, wie in der medialen Ära üblich – und immer, wenn wir meinen, seinem roten Faden auf der Spur zu sein, sind sie übermalt, werden wir mit Dunkelheit konfrontiert. Die Erinnerung ist geschützt, verdrängt, während an anderer Stelle die Erinnerung indes Schicht um Schicht akzentuiert wird: Auf- und Übermalen als Auseinandersetzung! Im Fokus steht indes immer wieder der Flüchtende, eine kleine weiße Figur, scherenschnittartig in das Werk eingebettet, eine Zeichen bildende Form, die gleichzeitig ornamentale Qualität aufweist. Sie scheint zu fragen: Was und wo ist Heimat? Wohin gehöre ich? Gibt es auf der Flucht kulturelle Identität? Weckmann gibt uns dabei ein spannendes Doppelspiel: Obwohl er auf roter Folie, also einen auffallenden Untergrund zeichnet, würden wir ohne Leuchtquelle nichts sehen. Rot wird bei der Fotoreproduktion zu Schwarz. Und beim Stäbchensehen, also Hell-Dunkel-Sehen in der Dämmerung, nehmen wir Rot für Schwarz.
Auch hier steht das Persönliche das Ganze und umgekehrt, wird ins Licht der Zeiten gerückt. Dabei kann Rot freilich auch als Blut, Feuer der Geschichte gesehen werden, es addiert Dramatik und Dynamik.
Und um Dynamik geht es Weckmann auch in seinen zwölf zweifarbigen Monotypien, also Einmaldrucken, an der anderen Zimmerwand. „Bewegung diametral – dialogisch“ nennt er diese, in welchen er verschiedene Bewegungen einer Tänzerin paarweise in Kontrast zueinander bringt, mal überlagert, mal nebeneinander stellt: Stehen versus Liegen, vorwärts versus rückwärts.
Die Tiefe, das Perspektivenspiel und der Kontrastreichtum zwischen der Fläche und der Linearität wird dabei noch verstärkt durch die Kombination aus Orange-Nuancen und Schwarz. Weckmann bedient sich der Methode der Monotypie, weil hier – anders als in der Zeichnung – auch der Moment des Zufalls, des Unberechenbaren ins spontan-dialogische kreative Spiel kommt. Und das ist eine Herausforderung, den mit dem umzugehen, was einem zufällt, will gelernt sein.
Dabei ist stets der Mensch das Maß aller Dinge: Die Beobachtung der menschlichen Figur in Bewegung hat Weckmann von jeher fasziniert, seine Formen sind ihm wie Landschaften, seine Bewegungen Rhythmus, letztlich Leben. „Nur in der Bewegung, so schmerzlich sie sei, ist Leben“, erklärte einst Jacob Burckhardt, der berühmte Schweizer Kunsthistoriker. Insofern ist Bewegung hier auch politisch zu sehen: Der Kreis zur Arbeit „Fluchten“ schließt sich.
Petra Mostbacher-Dix, im Oktober 2013
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