Ausstellung im Rathaus Neuhausen mit Gyjho Frank und Albrecht Weckmann,
Auszüge aus der Rede von Elke Eberle, M.A., 11.3.2015
Donnerstags in der Kunstschule in Filderstadt: Auf der einen Seite unterrichtet Albrecht Weckmann, auf der anderen Gyhio Frank, der eine links, der andere rechts. Beide sind überzeugte Pädagogen, beide machen seit Jahrzehnten Kunst. Beide haben ein unglaubliches Wissen, beide haben viel über Kunst an sich und besonders natürlich über ihre Arbeit nachgedacht. Arbeiten aus den letzten Jahren und ganz neue, quasi druckfrische sind in den nächsten Wochen hier im Rathaus zu sehen, die einen links, die anderen rechts.
Die Idee, beide zusammen auszustellen, war zunächst nur eine Idee. Geht das überhaupt, war meine erste Reaktion – und sicherlich ging es der einen oder dem anderen von Ihnen ebenso. Als beide Künstler unabhängig voneinander sagten: Es geht, war klar: es funktioniert. Selten habe ich dann zwei Künstler erlebt, die sich so professionell vorbereitet haben und am Tag, als die Bilder hier ins Rathaus einzogen, war alles fix gehängt …mit Augenmaß und Weitblick.
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Albrecht Weckmann
Er ist ein politischer Mensch und Humanist. Er liebt die Renaissance, die Entdeckung des Individuums, des Menschen und des Künstlers und er kennt sich bestens in der Kunstgeschichte aus. Er kann gedanklich den Bogen schlagen, von heute in die Vergangenheit und wieder zurück. Wenn man ihn nach „Vorbildern“ fragt, fallen sofort die Namen Degas, Rembrandt, Goya oder Sam Francis.
„Von den weit über 200 Werken zum Thema Ballett behandelt nur etwas mehr als ein Fünftel die eigentliche Aufführung, der Rest zeigt Tänzerinnen hinter den Kulissen, bei der Probe oder beim Ausruhen“, das war ein Zitat aus einer Arbeit über das Werk von Edgar Degas. Aber genau so geht es Albrecht Weckmann: genau dann, wenn die Tänzerinnen nicht auf der Bühne sind, die Modelle nicht in einer Pose ausharren, um genau so gezeichnet zu werden, sondern dann, wenn Tänzerinnen oder Modelle Pause haben und sich dehnen, strecken und recken, fängt er an zu zeichnen.
Es ist die Bewegung, die ihn reizt, das Extreme, das kurze Ausharren in der Bewegung, in einem Film würde man diese Momente als „Stills“ bezeichnen. Diese Momentaufnahmen sind aneinandergereiht und über einander gelagert in verschiedenen Graden der Abstraktion. Ein Zitat von Hannah Arendt, der Denkerin von Freiheit, begleitet Albrecht Weckmann: „Der historisch älteste und elementarste Ausdruck von Freiheit ist die Bewegungsfreiheit.“ Wer sich bewegen kann, kann seine eigene Kraft spüren, seine Freiheit im Tun und Lassen. Bewegungsfreiheit impliziert aber natürlich auch Politisches, „ich habe Politik immer im Hinterkopf“, sagt Weckmann. Haben Sie die drei Arbeiten „Crowd“ im 2. OG gesehen…können sie sich vorstellen, wer sich hier versammelt…ich verrate es: Die Arbeiten tragen den Geheimtitel „Pegida“.
Nun unternehmen wir kleinen Ausflug, zu einem Frühstück im Freien. Viele haben jetzt sicher Manets Bild im Kopf mit zwei unbekleideten Damen und zwei bekleideten Herren, inmitten eines Stilllebens. Die Rezeptionsgeschichte dieses Bildes ist lang, etwas Ähnliches gab es mehr als vier Jahrhunderte früher schon bei Tizian, aber von Manet ließen sich neben anderen Picasso inspirieren – und auch Albrecht Weckmann. Damals hat das Bild einen Skandal ausgelöst, „ein Loch in der öffentlichen Meinung hinterlassen“, wie Champsfleury in einem Brief an Baudelaire schrieb. Für Weckmann war es unter anderem ein Anlass, über Rollen nachzudenken. Auch heute noch, 100 Jahre später sind die meisten Modelle weiblich. Es gab Aktionen dagegen und Brüche in der Kunstszene, aber die Modelle blieben doch größtenteils weiblich. An Traditionen kann man sich reiben, aber irgendwie prägen sie uns doch. Weckmann verzichtet darauf, nur ein Idealbild des weiblichen Körpers zu zeichnen. Er zeigt weit mehr als das. Er zeigt Figuren, in Aktion und Interaktion, manche werden dabei zu Zeichen. Er zeigt Haltungen und auch hier wieder beide Seiten, anatomische und politische.
Manche vermeinen etwas „Japanisches“ in den Figurenzeichen zu sehen. Tatsächlich wirkt der Bildraum durch den Verzicht auf perspektivische Mittel zumeist flach. Dieses Phänomen ist in der japanischen Kunst ebenso zu beobachten wie unter ihrem Einfluss auch bei Degas. Weckmann nutzt häufig einen japanischen Pinsel, zwangsläufig wirkt das Ergebnis dann „japanisch“, aber es besteht kein innerer Zusammenhang, er sei ein lupenreiner Europäer, versichert Albrecht Weckmann: Japanische Kunst finde er toll, „aber anders“.
Welchen Einfluss hat Musik auf Kunst? Seit Kandinsky wissen wir: Einen großen. Die Bilder von Albrecht Weckmann sind bis ins kleinste Detail durchkomponiert, der Klang von Tönen und von Farben hängt eng zusammen. Seit ihm ein Freund Bachs Fuge näher gebracht hat, hat sie ihn nicht mehr losgelassen. Ebenso wenig wie die Minimal Musik. Aber er arbeitet nicht dogmatisch nach irgendwelchen Prinzipien: „Ich gebe mir Freiheiten“, sagt er oder „ich gehe kontrapunktisch damit um“. Aber wie die Kunst der Fuge zeigt ebenso wie Weckmann: Man muss nicht immer die Welt neu erfinden oder verändern, die minimale Veränderung birgt unendlich viel Reichtum – das zeigt jedes einzelne Blatt.
Manchmal entsteht auch aus der Indifferenz ein Reiz, wenn etwas übereinander passt oder eben nicht. In der Variation liegt der Reiz. Und auch – ja – im Zufall. „Unbefriedigt zerriss Arp schließlich das Blatt und ließ die Fetzen auf den Boden flattern. Als sein Blick nach einiger Zeit zufällig wieder auf diese auf dem Boden liegenden Fetzen fiel, überraschte ihn ihre Anordnung. Sie besaß einen Ausdruck, den er die ganze Zeit vorher vergebens gesucht hatte. Wie sinnvoll sie dort lagen, wie ausdrucksvoll! Was ihm mit aller Anstrengung vorher nicht gelungen war, hatte der Zu-Fall, die Bewegung der Hand und die Bewegung der flatternden Fetzen bewirkt, nämlich Ausdruck. Er (…) klebte sorgfältig die Fetzen in der vom ‚Zu-Fall‘ bestimmten Ordnung auf.“ schrieb Hans Richter 1967.
Der Zufall der Reichtum birgt, der erlaubt, über Religion und „Gottgegebenes“ nachzudenken. Dass er etwas Formendes in sich trägt, dass er gewünscht ist, dass man mit ihm leben muss, auch als Künstler.
Zufall in der Kunst hat nichts mit Willkür zu tun, Weckmann provoziert in der sehr diffizilen Arbeit der Monotypie einen Kanon von Regeln, er stellt Grenzen auf und lässt dem Zufall Raum, sich innerhalb dieser Grenzen zu entfalten. Der Künstler ist nicht der alleinige Schöpfer, die Geste ist gesteuert, aber der Zufall streut neue Elemente ein. Die Monotypie ist ein sehr diffiziler Akt, der großes handwerkliches Können, Disziplin, ein sauberes Labor und Wissen um die Eigenschaften der Druckfarben verlangt. Manchmal zeichnet Weckmann wochenlang Akt um Akt, dann in seinem Atelier herrscht plötzlich die Freiheit, die er braucht, um seine Figuren aufs Papier oder die Druckplatte zu bekommen. Um die Bewegung zu fokussieren, festzuhalten. Wie bei Künstlern der Renaissance ist ihm der Mensch das Maß der Dinge, über seine Arbeit als Pädagoge ist er zurück auf den Menschen gekommen. Es ist sein innerstes Thema. Es ist das Thema, das ihm die größtmögliche Freiheit erlaubt. Und er weiß: „Darüber hat man ein Leben lang genug zu erzählen.“ Sie sehen hier verschiedenste Variationen und Reihungen. Sie muten manchmal an wie Versuchsanordnungen, sie variieren Farbigkeit und es lohnt immer, sie genau anzusehen, denn sie bergen einen Schatz an Möglichkeiten, der tatsächlich unendlich scheint. Es gibt eine Fülle hier und leere Fläche dort, abrupt wechselnde Blickwinkel, Nah- und Untersichten, Überblendungen, abenteuerliche Fragmentierungen, Schnitte und Montagen, neue Erinnerungs- und Zitierformen, kühne Rhythmen und Bewegungsabläufe.
Suchen Sie, finden Sie.
Kunst zum Mitnehmen: Im Namen von Albrecht Weckmann schiebe ich hier einen kleinen Werbeblock ein. Heute, und nur heute sind die feinen Arbeiten auf Papier, die Sie in der Hängeregistratur sehen, für nur 49 Euro zu haben. Draußen liegen große Umschläge, füllen Sie sie, gerne können Sie sich ihr Wunschexemplar aussuchen und heute gleich mitnehmen.
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